Die Ursachen der Finanznot in der beruflichen Vorsorge
Die berufliche Vorsorge als wichtigste Säule der Altersvorsorge steht seit Längerem vor grossen Herausforderungen. Denn die versprochenen Renten können aus dem angesparten Alterskapital der heutigen Pensionierten nicht mehr finanziert werden. Dafür gibt es drei Gründe:
- Erstens werden die Menschen mittlerweile deutlich älter als in den Entstehungsjahren der beruflichen Vorsorge.
- Zweitens gibt es seit mehr als zehn Jahren extrem niedrige Zinsen, sodass erheblich schlechtere Erträge erwirtschaftet werden. Der Zins als «dritter Beitragszahler» neben Mitarbeitenden und Arbeitgebenden wird deshalb seiner Aufgabe nicht mehr gerecht.
- Drittens führen die rigiden gesetzlichen Vorgaben zu überhöhten Garantien – in Form von zu hohen Umwandlungssätzen und unrealistischen Zinsversprechen. Diese müssen die Vorsorgeeinrichtungen mit einem beträchtlichen Teil der Anlageerträge der Berufstätigen finanzieren, indem diese zugunsten der Pensionierten umverteilt werden.
BVG in Schieflage – doch die Bevölkerung bleibt ruhig. Warum?
Die berufliche Vorsorge befindet sich in Schieflage und der Status quo wird auf Kosten der Zukunft aufrechterhalten. Warum ist der grosse Aufschrei in der Bevölkerung bislang ausgeblieben? Das renommierte Forschungsinstitut Sotomo hat sich im Auftrag von Vita mit dieser Frage beschäftigt, dazu eine repräsentative Gruppe von 1’608 Menschen zwischen 18 und 79 Jahren befragt – und spannende Antworten erhalten:
1. Das Pensionskassenguthaben gehört zum Vermögen - doch viele wissen das nicht
Die Mehrheit der Berufstätigen weiss nicht, dass ihr Pensionskassenguthaben ihnen selbst gehört: Lediglich 44 Prozent der Schweizer Bevölkerung zählen das Pensionskassenguthaben zum eigenen Vermögen. Der Mehrheit ist diese Tatsache also unbekannt. Warum ist dies so? Ein Grund dafür könnte sein, dass die Pensionskassenbeiträge direkt vom Lohn abgezogen und auch nicht bei der Steuererklärung als Vermögen deklariert werden. Wohl auch deshalb ist vielen nicht bewusst, dass das Geld nach wie vor ihnen gehört. Dazu passt auch, dass nur eine von sechs befragten Personen genau wusste, wie hoch das eigene Pensionskassenguthaben momentan ist bzw. in Zukunft sein wird, Stand heute.
«Nur 44 Prozent wissen, dass das Pensionskassenguthaben zum eigenen Vermögen zählt.»
2. Der Umwandlungssatz wird falsch verstanden
Die meisten der Befragten nehmen eine mögliche Senkung des Umwandlungssatzes als grösstes Risiko für ihre künftigen Renten wahr. Dabei ist es genau umgekehrt: Gerade, weil der Umwandlungssatz noch nicht gesenkt wurde, muss heute ein bedeutender Teil der Anlageerträge von Erwerbstätigen zu Pensionierten umverteilt werden.
3. Vorsorge ist kein grosses Thema
Vor allem junge Erwachsene (18 bis 25 Jahre) beschäftigt das Thema der persönlichen Altersvorsorge selten. Nicht einmal jede und jeder Dritte (29 Prozent) macht sich dazu Gedanken. Doch mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen sorgt sich um das Einkommen im Alter. Die Kombination von fehlendem Wissen und Unbehagen lähmt: Sie spüren, dass etwas schiefläuft, verstehen aber zu wenig, um konkrete Änderungen einzufordern.
«Nur 29 Prozent der jungen Erwachsenen beschäftigt ihre Altersvorsorge. Die Übrigen verdrängen das Thema.»
4. Umverteilung wird nicht als Problem erkannt
Fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) denkt, dass die Umverteilung in der zweiten Säule fair ist – denn ihnen ist nicht bewusst, dass das System anders gedacht ist und ihnen das Geld eigentlich selbst gehört. Wäre diese Tatsache bekannt, würde mehr politischer Druck entstehen – das glauben vier von fünf Personen (78 Prozent). Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Funktionsweise der beruflichen Vorsorge zu erläutern und die aktuellen Entwicklungen einzuordnen. Denn nur wer die Zusammenhänge versteht, kann sich auch eine fundierte Meinung bilden.
5. Bewahren oder verändern?
Die garantierten Renten im heutigen BVG sind laut der Fairplay-Studie der Hauptgrund für die positive Beurteilung der Umverteilung: Viele der Befragten hoffen, dass auch sie selbst später dank fixer Renten von der Umverteilung profitieren werden. Doch diese Hoffnung könnte sich als trügerisch erweisen. Denn das Verhältnis von Berufstätigen und Pensionierten wird sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. Die Pyramide mit vielen Beitragszahlenden unten und wenigen Rentnerinnen und Rentnern oben entwickelt sich tendenziell zum Rechteck. Deshalb ist das Risiko gross, dass das Pyramidensystem an seine Grenzen kommt. Die heutigen Berufstätigen wären dann doppelt bestraft: Ihre eigenen Erträge auf das Pensionskassenguthaben werden momentan fast zur Hälfte umverteilt. Doch sie selbst werden von dieser Umverteilung in Zukunft nicht mehr im selben Mass profitieren – wenn überhaupt.
6. Renten mit variablem Anteil als Chance
Gut jede dritte befragte Person würde sich für eine Rente mit variablem Anteil und tieferen Garantien entscheiden. Davon könnten vor allem junge Erwachsene stark profitieren. Denn durch eine tiefere Umverteilung erhielten sie mehr Rendite und könnten gleichzeitig durch die lange Laufzeit den Zinseszinseffekt optimal ausnutzen. Das grösste Interesse bekunden indes die 46- bis 55-Jährigen – vermutlich sind es genau diejenigen, die sich bereits stärker mit den Zusammenhängen der beruflichen Vorsorge auseinandergesetzt haben.
Heute sind die Renten starr, ihre Höhe ist vollumfänglich garantiert. Doch diese Festlegung ist teuer und schmälert das Renditepotenzial. Eine Kombination von fixen und variablen Anteilen könnte deshalb in Zukunft eine Chance für die berufliche Vorsorge sein.
«Jede und jeder dritte Berufstätige wünscht sich eine Rente mit variablen Anteilen.»
Fazit: mehr Wissen für eine positive Zukunft
Die berufliche Vorsorge ist ein komplexes Thema – und für die meisten Menschen in der Schweiz eines, um das man lieber einen grossen Bogen macht. Deshalb ist vielen nicht bewusst, dass der Status quo auf Kosten der Zukunft aufrechterhalten wird. Und das betrifft die heutigen Berufstätigen ganz konkret. Es ist wichtig, diese Zusammenhänge verstärkt aufzuzeigen – und zwar so, dass eine breite Bevölkerung sie verstehen kann. Nur so entsteht ein Konsens darüber, dass eine Reform der beruflichen Vorsorge notwendig ist. Die Fairplay-Studie zeigt auf, wie wichtig diese Aufklärungsarbeit ist. Und sie macht Hoffnung, dass besser informierte Menschen offener sind für moderne Lösungsansätze, um die berufliche Vorsorge erfolgreich in die Zukunft zu führen.
Häufig gestellte Fragen
Warum erhalte ich bei einer garantierten Rente mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Geld als bei einem variablen Modell?
Für garantierte Renten muss die Pensionskasse einen grossen Anteil des Pensionskassenguthabens risikoarm anlegen, z.B. in Obligationen. In der aktuellen Tiefzinsphase kann auf diesem Kapital nur eine geringe oder gar negative Rendite generiert werden. Hohe Garantien verringern also die Rendite auf dem Pensionskassenguthaben und das Altersguthaben steigt weniger stark an.
Und selbst bei gleichem Altersguthaben zum Zeitpunkt der Pensionierung hat das variable Rentenmodell mehr Kraft und generiert im Schnitt deutlich höhere Rentenzahlungen. Denn das Altersguthaben wird ja auch nach der Rente weiter angelegt und kann dann ausgewogener investiert werden.
Was ist an der Umverteilung denn so schlimm – ich werde doch später auch davon profitieren?
Das ist leider unwahrscheinlich. Denn die Umwandlungssätze müssen und werden sinken. Die aktuell Berufstätigen sind dann doppelt bestraft: Sie verlieren heute Geld durch die Umverteilung, werden dieses aber in Zukunft voraussichtlich nicht zurückbekommen und zusätzlich durch den tieferen Umwandlungssatz eine kleinere Rente erhalten.
Müssen jetzt die Pensionärinnen und Pensionäre fürchten, dass ihnen ihre Renten gekürzt werden?
Nein, denn die laufenden Renten dürfen nicht angepasst werden. Die aktuellen Pensionärinnen und Pensionäre können sich also darauf verlassen, dass sie ihre Rente weiter erhalten werden.
Warum ist ein hoher Umwandlungssatz etwas Schlechtes – dann bekomme ich doch mehr Geld, oder?
Nein, der Umwandlungssatz ist ein Prozentsatz, mit welchem die Höhe der Rente berechnet wird. Vergleicht man das mit einem Kuchen, nennt der Umwandlungssatz die Anzahl der Kuchenstücke respektive die Grösse eines Kuchenstücks. Relevant ist, wie viel Geld man «umwandeln» kann. Ein hoher Umwandlungssatz nützt nichts, wenn man wenig zum Umwandeln hat. Gleichzeitig müssen die hohen Umwandlungssätze aber finanziert werden. Wenn bei den Pensionierten zu wenig Kuchenmaterial vorhanden ist, muss dieses aus den Anlageerträgen der Erwerbstätigen umverteilt werden. Die heutigen Erwerbstätigen sind dann gleich doppelt gestraft: Sie haben heute und in Zukunft weniger Geld und die Umwandlungssätze werden später unweigerlich gesenkt werden.