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«Selbstvorsorge muss stärker gefördert werden»

Schweizerinnen und Schweizer wissen im Allgemeinen mehr über Finanzen und die Vorsorge als Leute in anderen Ländern. Dennoch ist ihr Wissen mangelhaft. Finanzprofessor Erwin W. Heri, ein Mann der Tat, klärt konsequent auf. Er schreibt Bücher für Anlegerinnen und Anleger, gibt Spartipps, veröffentlicht Erklärvideos zu Finanzthemen und erläutert dabei komplexe Zusammenhänge einfach und verständlich.
Foto Dr. Erwin W. Heri

Die Finanzwelt wurde schneller und komplexer. Führt dies zu einer Überforderung der Gesellschaft oder täuschen wir uns?

Die Überforderung kommt daher, dass ein Grossteil der Bevölkerung wenig Ahnung von Vorsorge, Geldanlagen und Finanzen hat. Vielen fehlt das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Die Finanzwelt wurde weder volatiler noch komplexer. Die dem Finanzmarkt zugrunde liegenden Prozesse sind unverändert. Einzig die Informationsflut hat im Vergleich zu früher stark zugenommen. Aus allem werden Geschichten gemacht. Wir werden auf verschiedenen Kanälen regelrecht von Finanznachrichten überschwemmt. Vieles davon kann man vernachlässigen.

Sie haben sich der Finanzaufklärung verschrieben. Wie ist es dazu gekommen und wie sieht Ihr Lehransatz aus?

Mein Ziel ist es, die Menschen zur Selbstvorsorge zu animieren, sodass sie sich weniger auf den Staat verlassen. Wenn man das richtig machen will, braucht es ein Grundwissen über Finanzen und Vorsorge. Ich bin überzeugt, dass sich die Sachverhalte aus der Finanz- und Wirtschaftswelt einfach und verständlich erklären lassen. Die Frage ist jedoch, wie man die Leute erreicht. Ich will nicht zuletzt junge Menschen für das Thema gewinnen, denn sie haben noch einen langen Anlagehorizont und da sind Finanzwissen und Spartipps von besonderer Bedeutung. Die Herausforderung, komplexe Dinge so herunterzubrechen, dass sie von allen verstanden werden, hat mich schon immer begleitet. Auf unserer kostenlosen Onlineplattform – www.fintool.ch – zeigen wir erklärende Kurzvideos, die wir im Premiumbereich zu Videotheken zusammenbauen. Dabei entstehen ganze Serien und Staffeln – also quasi ein «Netflix für Anlegerinnen und Anleger».

Ich rate immer zum Aktiensparen: Investieren Sie in Aktienfonds oder auch in Einzeltitel, doch dies zwingend mit einem langfristigen Zeithorizont, also für mindestens zehn Jahre.

Schweizerinnen und Schweizer haben das Sparen wohl tief im Bewusstsein verankert – sie wachsen mit dem Sparschwein auf. Doch das reicht heute einfach nicht mehr aus. Die Konsumwelt frohlockt und viele haben punkto Vorsorgeleistungen und Renten Erwartungen, die fernab aller Realität sind. Daher wird die Selbstvorsorge immer wichtiger. Was raten Sie der Kleinsparerin und dem Kleinsparer?

Ich rate immer zum Aktiensparen: Investieren Sie in Aktienfonds oder auch in Einzeltitel, doch dies zwingend mit einem langfristigen Zeithorizont, also für mindestens zehn Jahre. Das Rezept ist einfach: breit diversifiziert in günstigen Produkten anlegen und zurücklehnen. Die wohl grösste Herausforderung dabei ist, die Volatilität an den Märkten psychisch auszuhalten und nicht die Nerven zu verlieren und der Spekulationslust zu verfallen.

Was heisst «breit diversifiziert»: Ist zum Beispiel Gold für Sie ein fixer Bestandteil eines diversifizierten Portfolios?

Breit diversifizieren heisst in Aktien, Obligationen – über Indexfonds oder ETFs (Exchange Traded Funds, also börsengehandelte Indexfonds – Anm. d. Red.) – und Immobilien investieren. Die Aufteilung ergibt sich dabei aus dem Anlagehorizont und der Fähigkeit, kurzfristige Schwankungen auch psychisch auszuhalten. Zu Gold sage ich oft spasseshalber: «Gold gehört an den Hals meiner Frau, aber nicht in mein Portfolio.» Aber im Ernst: Um Gold wird ein grosser Hype gemacht. Für mich persönlich ist Gold langfristig betrachtet eher ein Spekulationsobjekt. Es gilt hier wie bei anderen Anlagen auch: Was nicht laufend Ertrag abwirft, gehört eher in den Bereich der Spekulation.

Ich fokussiere stark auf den Schweizer Markt, da ich – im Gegensatz zu vielen meiner Kolleginnen und Kollegen – der Meinung bin, dass das Währungsrisiko zu gross ist, als dass man allzu stark "international gehen" sollte.

Genügt eine Diversifikation auf dem Schweizer Markt oder raten Sie dazu, global anzulegen?

Ich fokussiere stark auf den Schweizer Markt, da ich – im Gegensatz zu vielen meiner Kolleginnen und Kollegen – der Meinung bin, dass das Währungsrisiko zu gross ist, als dass man allzu stark «international gehen» sollte. Gerade in unserem Fall ist dies in meinen Augen so, denn der Schweizer Franken wertet sich permanent auf und das Absichern dieses Risikos ist teuer. Eine Ausnahme habe ich dennoch gemacht: Ich investiere in einem breit diversifizierten Emerging-Market-Fonds (ein Fonds, der in Schwellenmärkten investiert – Anm. d. Red.), denn ich bin der Meinung, dass die Schwellenländer ein grosses Potenzial haben.

Und was halten Sie vom Sparen in der 3. Säule?

Davon bin ich ein riesengrosser Fan, doch auch hier ist klar: je höher der Aktienanteil, desto besser die langfristige Rendite. In der Schweiz sollte man die 3. Säule stärker fördern, indem man höhere Beträge zulässt und die Restriktionen bei den 3a-Produkten lockert. (Die Anlage von Geldern in Produkten in der Säule 3a unterliegt gesetzlichen Restriktionen – Anm. d. Red.), Denn diese Restriktionen gründen auf einem völlig falschen Risikokonzept. Das Start-up VIAC macht es vor: Bei VIAC können die Beträge fast zu 100 Prozent in Aktien angelegt werden. Banken ziehen mit ihren 3a-Angeboten zusehends nach.

Sollte man sich in eine Pensionskasse einkaufen?

Grundsätzlich finde ich den Zustand der Schweizer Pensionskassen gut. Der Einkauf in eine Pensionskasse ist aus Ertrags- und Steuerüberlegungen heraus sicher eine interessante Sache. Es kommt allerdings auf die finanzielle Gesundheit der Pensionskasse an und auch darauf, wie sie beispielsweise im Todesfall mit den Einkäufen umgeht. Attraktiv sind Einkäufe auch, wenn man im überobligatorischen Teil die Anlagestrategie selbst bestimmen und einen möglichst hohen Aktienanteil wählen kann.

Legen Sie Ihr privates Geld immer noch in Cash und Aktien an? Oder haben Sie angesichts des aktuellen Zinsumfeldes Ihre Strategie geändert?

Mein Portfolio umfasst Aktien, Immobilien und Cash. Ich sehe keinen Grund, Anpassungen vorzunehmen. Negativzinsen sind im Moment für mich persönlich kein Problem. Sollten die Freigrenzen jedoch nach unten gesetzt werden, würde ich mein Cash auf verschiedene Banken verteilen. Und sollte dies nicht ausreichen, würde ich das Geld schliesslich sogar in einem Safe aufbewahren.

Sie haben im vergangenen Jahr das AHV-Alter erreicht. Was sind Ihre ganz persönlichen Pläne im Hinblick auf das Sparen und das Weiterarbeiten?

Als ich 60 wurde, habe ich mir ein Zehn-Jahres-Budget erstellt. Heute weiss ich ganz genau, wie viel ich pro Jahr benötige. Diesen Betrag habe ich auf zehn Jahre hochgerechnet – dafür habe ich Cash zur Seite gelegt. Die übrigen finanziellen Mittel habe ich in Aktien angelegt. Und was das Weiterarbeiten betrifft: Jahrelang war ich in grossen Unternehmen tätig – da wäre ich heute wahrscheinlich bereits im Ruhestand. Doch als passionierter Unternehmer kann ich mir noch lange nicht vorstellen, mit dem Arbeiten aufzuhören. Ich mache weiter, solange ich Freude daran habe.

Die wichtigsten Tipps

  • Verschaffen Sie sich einen Überblick über all Ihre Verpflichtungen und anstehenden Ausgaben. Planen Sie Ihr Budget aktiv!
  • Legen Sie so viel in festverzinslichen Anlagen (Cash und Obligationen) zur Seite, dass Sie Ihren Verpflichtungen nachkommen können – das nenne ich sparen –, und legen Sie die übrigen (langfristigen) freien Mittel in Aktien an (Fonds und Einzeltitel) – das nenne ich investieren.
  • Diversifizieren Sie breit und investieren Sie langfristig – suchen Sie nicht den kurzfristigen Gewinn.
  • Seien Sie diszipliniert, achten Sie ganz besonders auf die Kosten der Geldanlage und behalten Sie die Nerven.
  • Kaufen Sie nur, was Sie verstehen. Investieren Sie in Ihr Wissen und trauen Sie vor allem sich selbst.
Foto Erwin W. Heri

Dr. Erwin W. Heri

Dr. Erwin W. Heri hatte viele Jahre Führungspositionen bei unterschiedlichen Finanzdienstleistern (Banken und Versicherungen) inne. Darüber hinaus war und ist er Professor für Finanztheorie an der Universität Basel. Er hat bereits zahlreiche Bücher und Artikel zu Finanz- und Anlagefragen veröffentlicht. Als Gründungspartner der Finanzausbildungsplattform www.fintool.ch will Erwin Heri die finanzielle Bildung der Bevölkerung fördern und zur Selbstvorsorge animieren.

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