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Herausforderungen meistern: Wie Sie Ihren Handlungsspielraum nutzen

Unser Leben wurde 2020 auf den Kopf gestellt – beruflich und privat. Veränderungen stellen für viele von uns eine Herausforderung dar. Doch warum gehen wir so unterschiedlich mit ihnen um? Was motiviert die einen, Eigenverantwortung zu übernehmen und auch in schwierigen Situationen den Handlungsspielraum zu sehen?
Frau mit Kaffee-Tasse
«Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung», wusste schon der griechische Philosoph Heraklit. Im vergangenen Jahr spürten wir dies deutlicher denn je. Vieles, was zuvor unvorstellbar war, wurde zur neuen Realität. Die Auswirkungen der Coronapandemie haben unser Leben umgekrempelt. In einer Studie von Sotomo gab fast die Hälfte der Befragten an, die Coronapandemie habe sich negativ auf ihre Stimmungslage ausgewirkt. Es zeigte sich jedoch auch: Auf Personen in einer stabilen Lebenssituation trifft dies deutlich weniger zu.
Dr. phil. Melanie Peter ist Psychotherapeutin und erhält vermehrt Anfragen von Menschen, die durch die Coronasituation aus der Bahn geworfen wurden. Sie sagt, das Virus bedrohe die vier psychischen Grundbedürfnisse des Menschen: Autonomie, Selbstwertsteigerung, Bindung und Lustgewinn. Deshalb sei es wichtig, sich zu fragen: Wo kann ich trotz Krise autonom leben? Wie kann ich trotz «social distancing» mein Bindungsbedürfnis stillen? Was kann ich tun, um mich trotz Jobverlust wertvoll zu fühlen? Und: Wie kann ich angenehme Aktivitäten mit der Coronasituation in Einklang bringen? Wir wollten mehr darüber erfahren und haben mit der Psychotherapeutin gesprochen.

Warum gehen Menschen so unterschiedlich mit Krisen um?

Es ist normal, dass uns schwierige Lebensereignisse verunsichern und herausfordern. Wir werden aus der Bahn geworfen und müssen uns erst neu orientieren. Diese Neuorientierung oder Stabilisierung gelingt denjenigen Menschen besser, die ihre Gefühle wahrnehmen, reflektieren und erleben, dass sie selbst etwas bewirken können. Dies sind Menschen, die davon ausgehen, dass ihr Handeln zu einer positiven Veränderung führen kann. Meist verfügen sie über eine hohe Sozialkompetenz und sind bereit, sich in Krisensituationen Unterstützung zu holen. Zudem können sie die problematische Situation richtig einordnen und entwickeln entsprechend Handlungsmöglichkeiten. Diese Fähigkeiten nennt man resilienzfördernde Faktoren.

Was ist Resilienz?

Unter Resilienz versteht man die psychische Widerstandsfähigkeit – sozusagen das Immunsystem der Seele. Resiliente Menschen sind sogenannte «Stehaufmännchen» oder «Felsen in der Brandung», die anspruchsvolle Lebenssituationen ohne grosse Schwierigkeiten überstehen. Resilienz ist eine Fähigkeit, die wir ab der frühesten Kindheit erwerben und die uns befähigt, Krisen und seelische Belastungen so zu bewältigen, dass wir nicht zerbrechen, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen. Zahlreiche Studien belegen, dass Kompetenzen, welche die Resilienz fördern, über die ganze Lebensspanne erworben werden können.

Wie können wir unsere Resilienz fördern?

Laut der Forschung gibt es verschiedene Kompetenzen, die resilienzfördernd wirken:

  • Selbst- und Fremdwahrnehmung: Lernen Sie, Ihre eigenen Emotionen und Gedanken wahrzunehmen und diese zu reflektieren. Nehmen Sie sich Zeit für sich. Schreiben Sie auf, was Sie beschäftigt, machen Sie allein einen Spaziergang, treiben Sie Individualsport oder machen Sie eine kurze Atemübung. Entspannungstrainings, Meditation oder Achtsamkeitsübungen sind ebenfalls hilfreich. Wichtig ist, dass Sie Zeit haben, in sich hineinzuhorchen.
    Stärken Sie auch Ihre Fähigkeit, andere Personen und deren Gefühlszustände richtig einzuschätzen. Eine gute Selbstwahrnehmung unterstützt die Fremdwahrnehmung, da Sie eigene Anteile erkennen. Hören Sie Ihrem Gegenüber zu, ohne zu unterbrechen, und fassen Sie danach das Gehörte zusammen. Dies ist eine gute Übung zur Stärkung der Fremdwahrnehmung.
  • Selbstwirksamkeit: Menschen, die sich als selbstwirksam erleben, haben die Erfahrung gemacht, dass sie durch ihr Handeln Ziele erreichen können. Selbstwirksamkeit können Sie trainieren, indem Sie ab und zu die eigene Komfortzone verlassen. Wichtig ist dabei eine realistische, möglichst konkrete Zielsetzung. Viele Menschen setzen sich zu hohe Ziele und haben überhöhte Ansprüche an sich selbst. Es kann helfen, wenn Sie sich überlegen, welche Ziele Sie einem guten Freund empfehlen würden.
  • Soziale Kompetenz: Es ist zentral, dass Sie soziale Situationen richtig einschätzen und sich in andere Menschen einfühlen können. Gefördert wird diese Kompetenz über die ganze Lebensspanne in einer Vielzahl von sozialen Situationen. Mit sogenannten «sozialen Kompetenztrainings» können Sie diese Fähigkeit gezielt verbessern.
  • Hohe Selbstregulationsfähigkeit: Lernen Sie, wie Sie sich selbst entspannen können und welche Verhaltensweisen Ihnen helfen. Diese Fähigkeit basiert auf der Selbstwahrnehmung. Sobald Ihnen bewusst ist, wie es Ihnen geht, können Sie herausfinden, mit welchem Verhalten oder mit welchen Gedanken Sie Ihre Gefühle regulieren können.
  • Problemlösefähigkeit und Bewältigungskompetenzen: Analysieren Sie Ihr Problem. Dabei hilft es, die Sachlage mit einer Vertrauensperson zu besprechen oder das Problem aufzuschreiben. Danach können Sie Handlungsmöglichkeiten aller Art entwickeln und diese umsetzen. Dabei ist es essenziell, dass Sie Ihre eigenen Kompetenzen und Grenzen kennen.

Welche Tipps haben Sie für den Umgang mit schwierigen Situationen?

  1. Lassen Sie schwierige Gefühle zu. Diese sind ebenso normal wie positive Gefühle und gehören gleichermassen zum Leben. Sie zeigen uns, dass ein oder mehrere Grundbedürfnisse bedroht sind. Sobald Sie die Botschaft hinter dem Gefühl erkennen, können Sie sich um das entsprechende Bedürfnis kümmern.
  2. Sprechen Sie über Ihr Befinden. Geteiltes Leid ist halbes Leid: Ihre Freunde werden Sie verstehen und diese Anerkennung brauchen Sie in schwierigen Situationen. Ausserdem können andere Menschen Sie dabei unterstützen, neue Handlungsspielräume zu entdecken.
  3. Aktivieren Sie Ihre Ressourcen und reduzieren Sie die Pflichten. Fragen Sie sich: Welche Menschen oder Tätigkeiten tun mir gut? In stressigen Zeiten tendieren wir dazu, uns auf die Pflicht zu konzentrieren und die Aktivitäten zu streichen, die uns Freude machen. Dadurch kann ein Teufelskreis entstehen. Lassen Sie einmal «fünf gerade sein».
  4. Studien zeigen, dass die Resilienz derjenigen Menschen am grössten ist, die in ihrem Leben eine moderate Anzahl Krisen überstanden haben. In diesem Sinne können Krisen manchmal auch Chancen sein.
  5. Wenn Sie merken, dass Sie allein nicht aus der Negativspirale kommen – holen Sie sich professionelle Unterstützung. Dies ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine mutige Entscheidung zur Förderung Ihrer ganz persönlichen Resilienz.
Während wir uns in der neuen Realität zurechtfinden, entdecken wir andere Perspektiven. Wir haben beispielsweise gelernt, dankbar zu sein, und schätzen mehr, was wir haben. Auch in der beruflichen Welt haben sich neue Möglichkeiten aufgetan. Plötzlich ist Homeoffice machbar und gewinnt an Akzeptanz. Immer mehr Menschen nutzen ihren Handlungsspielraum und gehen neue Wege. Manche entwickeln kreative digitale Lösungen, andere fokussieren auf das Wesentliche – und einige wagen den Weg in die Selbstständigkeit.

Portrait Melanie Peter

Dr. phil. Melanie Peter

Dr. phil. Melanie Peter ist als delegiert arbeitende Psychotherapeutin in einer psychiatrischen Praxis tätig. Sie erhält zurzeit vermehrt Anfragen von Menschen, die durch die Corona-Situation Hilfe bei der Bewältigung von schwierigen Situationen benötigen.

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