Nach einem herausfordernden und zuweilen fast turbulenten Jahr 2022 ging das Jahr 2023 aus Anlegersicht geradezu euphorisch zu Ende. Was bedeutet das für die Pensionskassen und mit welchen Entwicklungen ist für 2024 zu rechnen? Drei Experten nehmen Stellung.
Rückblick 2023
Wie würden Sie das Finanzmarktjahr zusammenfassen?
Sébastien Dirren: In Kürze kann das Jahr 2023 als das Spiegelbild des Jahres 2022 bezeichnet werden, da sich alle negativen Trends des Vorjahres umgekehrt haben. Der Markt und die Stimmung der Anlegerinnen und Anleger wurden weltweit vor allem durch die Bemühungen der Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation beeinflusst. Nach weiteren Zinserhöhungen haben die Zentralbanken eine Pause eingelegt – das hat im letzten Quartal zu Euphorie am Markt geführt. Im Gegensatz zum «perfekten Sturm» von 2022 verzeichneten Anleihen, Kredite und Aktien im Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs. Die starke Zunahme der Aktienwerte war hoch genug, um die Verluste von 2022 auszugleichen. Auch der Schweizer Franken wurde stark aufgewertet. Das hat den Inflationsdruck verringert, gleichzeitig jedoch die Renditen ausländischer Investitionen gesenkt.
Welche Auswirkungen hatten diese Rahmenbedingungen auf das Portfolio und die Präferenzen der Pensionskassen?
Sébastien Dirren: Vorab, die Anlagestrategie von Pensionskassen ist langfristig orientiert, damit sie ihre Verpflichtungen auch langfristig erfüllen können. Daher sollten ihre Anlagepräferenzen nur geringfügig von einem Jahr zum nächsten variieren. Im Jahr 2022 erlitten die meisten Pensionskassen starke Verluste sowohl auf Aktien als auch auf Anleihen. Dies war auf die Normalisierung des Zinsniveaus zurückzuführen, wodurch ein Teil der übermässigen Renditen der letzten Jahre zurückgezahlt werden musste. Das hatte auch Auswirkungen auf die Deckungsgrade.
Im Jahr 2023 lag der Fokus der Pensionskassen somit auf drei Themen: Erstens galt es, den Deckungsgrad nach einem schlechten Jahr zu stabilisieren – das war insbesondere für Pensionskassen mit wenigen privaten Marktinvestitionen wichtig. Zweitens nahm die Illiquidität im Portfolio zu – der sogenannte Denominator-Effekt. Hier hatten die Pensionskassen die Option, entweder «auszuharren» oder Anlagen zu einem ungünstigen Preis zu verkaufen. Drittens haben die Pensionskassen wieder verstärkt in die lange Zeit unattraktive Anlageklasse der Anleihen investiert.
Mit welchen konjunkturellen Herausforderungen hat sich die Sammelstiftung Vita besonders beschäftigt?
Markus Leuthard: Uns beschäftigt die gesamte Konjunkturlage stark. Die Marktstrateginnen und -strategen prognostizierten für 2023 eine Abkühlung der Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte, verbunden mit ersten Zinssenkungen. Doch es kam alles anders: Besonders in den USA zeigt sich die Konjunktur sehr robust. Die Inflation hat sich bereits abgeschwächt, mit einer Zinssenkung der Zentralbank dürfte jedoch erst 2024 zu rechnen sein. So oder so, auf solche konjunkturellen Herausforderungen sind wir vorbereitet, unsere Organisation ist gut aufgestellt und wir haben die notwendigen Prozesse aufgesetzt.
2023 war ein weitaus stabileres Anlagejahr als 2022. Wie hat sich das für die Sammelstiftung Vita ausgewirkt? Wie haben die Versicherten profitiert?
Markus Leuthard: Wir konnten von positiven Aktienmärkten und sinkenden Zinsen bei den Obligationen profitieren, was zu einer soliden Rendite des Gesamtportfolios der Sammelstiftung Vita führte. Die provisorische Netto-Performance 2023 beläuft sich auf 5,7 Prozent. Dieses gute Ergebnis kommt auch unseren Versicherten zugute, sie erhalten eine Zusatzverzinsung.
Wie hat sich die Inflationsrate in den letzten Monaten entwickelt und welche Auswirkungen hatte dies auf die Märkte und auf die Pensionskassen?
Sébastien Dirren: Die Marktentwicklung der vergangenen zwei Jahre wurde massgeblich von der hohen Inflation bestimmt. Die Zentralbanken reagierten darauf mit aggressiven Zinserhöhungen. So entstand eine zuweilen fast turbulente Situation. Doch im Verlauf des Jahres 2023 hat das Handeln der Zentralbanken Wirkung gezeigt und die Inflation ist wieder deutlich zurückgegangen. Auch die Energiepreise sanken wieder spürbar. Ebenso konnten viele Lieferengpässe, die durch COVID-19 entstanden waren, behoben werden. So hat sich die Situation insgesamt entspannt. In der Schweiz gestaltet sich die Situation ohnehin weniger dramatisch, da das Land von seiner wirtschaftlichen Stabilität profitiert. Die starke Schweizer Währung hat zudem dazu beigetragen, die Importpreise zu senken und die Inflation zu dämpfen.
Welche Auswirkungen hatte die Inflation auf die Anlagen der Sammelstiftung Vita – und wie sind Versicherte sowie Pensionärinnen und Pensionäre betroffen?
Markus Leuthard: Kommt die Inflation unerwartet, was im Jahr 2022 der Fall war, verlieren Aktien und Obligationen an Wert. Das Gesetz sieht vor, dass sämtliche Vorsorgeeinrichtungen eine Wertschwankungsreserve äufnen müssen. Mit dieser werden Wertverluste ausgeglichen, die sich aufgrund einer ungünstigen Entwicklung an den Kapitalmärkten ergeben. Unsere Wertschwankungsreserve war Ende 2021 voll geäufnet. Das war ein hilfreiches Polster für das anspruchsvolle Anlagejahr 2022. Die Versicherten waren insofern betroffen, als dass wir aufgrund des geringen Deckungsgrades keine Zusatzverzinsung gewähren konnten. Für Pensionärinnen und Pensionäre spielen solche Schwankungen keine Rolle – sie haben eine garantierte Rente. Im Jahr 2023 hatten sich die Märkte dann bereits auf die Inflation eingestellt, so dass sie weniger Auswirkungen hatte und sich die Aktienwerte wieder erholen konnten.
In den vergangenen Jahren waren die historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen eine gewisse Herausforderung für die Investition von neuen Geldern. Wie haben sich die Zinssätze in den letzten Monaten verändert und wie hat dies die Anlagen von Pensionskassen beeinflusst?
Sébastien Dirren: 2023 sind die kurzfristigen Zinsen, getrieben durch die Zentralbanken, gestiegen, während die langfristigen Zinsen, getrieben durch die Erwartungen der Marktteilnehmenden, gesunken sind. Die Auswirkungen auf verschiedene Anlageklassen sind sehr spezifisch. Börsennotierte Anlagen, also Aktien und Anleihen, haben im Jahr 2022 deutlich korrigiert und im Jahr 2023 markant zugelegt, während private Marktinvestitionen zunächst stabil blieben und dann leicht korrigierten. Somit konnten Pensionskassen mit einem höheren Anteil an privaten Marktinvestitionen stabilere Renditen erzielen und wiesen einen höheren Deckungsgrad auf.
Welche Konsequenzen hat die Zinswende für die Versicherten der Sammelstiftung Vita?
Markus Leuthard: Von langfristig hohen Zinsen werden die Versicherten profitieren. Die erwartete Rendite steigt, was zu einem höheren Deckungsgrad führen wird. Entsprechend steigt die Zusatzverzinsung.
Welche Anlageprodukte sind im aktuellen Marktumfeld besonders vielversprechend? Welche werden 2024 noch an Bedeutung gewinnen?
Sébastien Dirren: Die Börse hat das Jahr 2023 euphorisch abgeschlossen, dank Vollbeschäftigung, moderatem Wirtschaftswachstum, niedrigeren Energiepreisen, sinkender Inflation und Zinsen. Es ist offen, ob dieses perfekte Szenario aufrechterhalten werden kann.
Im Allgemeinen haben die Jahre 2022 und 2023 gezeigt, dass die Pensionskassenportfolios stark von Aktien abhängig sind. Privatmarktanlagen können eine wichtige Rolle als Stabilisatoren spielen. Ihr Vorteil besteht nicht nur darin, dass die Bewertungen solcher Anlagen das Portfolio glätten, sondern sie gewähren auch einen breiteren Zugang zu Risikoprämien, was zu mehr Stabilität und höheren Renditeerwartungen führen sollte. Privatmarktanlagen ermöglichen darüber hinaus einen besseren Schutz gegen Inflation, zum Beispiel durch Infrastruktur, Immobilien oder private Schulden.
Eine weitere Herausforderung beim Investment in Aktien ist, dass Indizes zum Teil recht konzentriert sind: In den USA etwa wurde 2023 die Performance weitgehend durch sieben besonders erfolgreiche Aktienwerte getrieben, die sogenannten «Magnificent 7». Darunter waren Technologie-Titel wie NVIDIA oder Meta (Facebook). Private Equity kann in solchen Situationen für eine Diversifikation und Stabilisierung des Portfolios sorgen, dank dem deutlich breiteren Universum von nicht börsenkotierten Unternehmen. Nach den Zinserhöhungen der letzten zwei Jahre – eine Zunahme von +2,75 bzw. +0,85 Prozent für kurz- bzw. langfristige Zinsen – sind Schweizer Obligationen zweifellos attraktiver geworden. Das aktuelle Zinsniveau von 0,9 Prozent für 10-jährige Staatsanleihen bleibt jedoch relativ niedrig und daher nur mässig interessant für die Anlage. Die Zinsniveaus in den USA und der EU sind zwar deutlich attraktiver, aber die Kosten für Währungsabsicherungen sind derzeit extrem hoch.
Ausblick 2024
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Trends und Veränderungen des Anlagejahrs 2023 – und welche werden sich auch 2024 auswirken?
Thomas Liebi: Die Finanzmärkte waren 2023 geprägt von fallenden Inflationsraten und einem Rückgang des globalen Zinsniveaus. Die Aussicht auf Zinssenkungen hat die Obligationen- und Aktienmärkte gleichermassen beflügelt. Die Erwartungen in Bezug auf ein weniger restriktives Zinsumfeld sind gross. Entsprechend hoch ist aber auch das Risiko, dass die Zentralbanken diese Erwartungen enttäuschen, falls die Zinsen nicht wie erwartet gesenkt werden. Das Thema Inflation und Zinsentwicklung wird die Finanzmärkte auch 2024 weiterhin beschäftigen und könnte vor allem im ersten Halbjahr zu grösseren Schwankungen führen, falls sich die Inflation als hartnäckiger erweist, als die Anleger zurzeit erwarten.
Welche Faktoren werden das Anlagejahr 2024 sonst noch von der makroökonomischen Seite beeinflussen?
Thomas Liebi: Die Kehrseite fallender Inflationsraten und weniger aggressiver Zentralbanken ist ein sich abschwächendes Wirtschaftswachstum, was sich wiederum auf das Verhalten der Anlegerinnen und Anleger auswirkt. Entscheidend wird sein, ob in den USA eine weiche Landung der Wirtschaft gelingt, so wie die Märkte dies gegenwärtig erwarten. Die historische Erfahrung zeigt, dass dies eher selten der Fall ist. Geldpolitik wirkt immer erst mit einem zeitlichen Verzug und die Zentralbanken wollen sichergehen, dass sich die Inflationsraten nachhaltig zurückbilden, bevor sie die Wirtschaft mit substanziellen Zinssenkungen unterstützen.
Wenn man die verschiedenen Märkte betrachtet, wo sehen Sie für 2024 besondere Chancen?
Thomas Liebi: Obwohl die globalen Zinsen an den Kapitalmärkten in den letzten Monaten wieder etwas gefallen sind, bieten Staatsanleihen weiterhin eine ansprechende Rendite. Das gilt insbesondere, wenn sich die Inflationsraten entsprechend unseren Erwartungen weiter zurückbilden. Die aktuelle zusätzliche Rendite von Unternehmensanleihen entschädigt hingegen kaum für das höhere Risiko, zumal wir erwarten, dass sich das globale Wirtschaftswachstum in den kommenden Monaten weiter abschwächen wird. Entsprechend scheint uns diese Anlagekategorie momentan nicht attraktiv. Aktien sind zwar bei einer wirtschaftlichen Eintrübung ebenfalls anfällig für Rückschläge – vor allem nach den starken Kurssteigerungen im vergangenen Jahr. Gleichwohl erscheinen ihre Bewertungen noch nicht exorbitant und die erwarteten Zinssenkungen der Zentralbanken dürften den Aktienmärkten Auftrieb verschaffen.
Das Thema «Artifical Intelligence – AI» hat 2023 die öffentliche Diskussion beherrscht. Wie stark sind die Auswirkungen auf die Finanzmärkte – und welche weiteren Innovationen könnten die Märkte 2024 prägen?
Thomas Liebi: Das Thema AI wird die Finanzmärkte auch 2024 beschäftigen. Nach der ersten Euphorie werden vermehrt konkrete Anwendungen ihren Weg zu einer wachsenden Zahl von Benutzerinnen und Benutzern finden. So wird Microsoft zum Beispiel das Betriebssystem Windows und die Office-Anwendungen mit künstlicher Intelligenz ausstatten. Damit wird das Potenzial von AI auch einer breiteren Masse zugänglich. Zudem haben viele Staaten und Institutionen umfangreiche Investitionen in dieses Thema angekündigt, was die Erwartungen der Anlegerinnen und Anleger weiter anheizen dürfte. Schwieriger zu prognostizieren sind lang erhoffte Durchbrüche in anderen Bereichen wie zum Beispiel leistungsfähigere Batterien und Akkus für Elektroautos oder neue Trends im Gesundheitssektor. Beispielsweise haben die Medikamente zur Behandlung von Fettleibigkeit von Eli Lilly und Novo Nordisk im vergangenen Jahr die Fantasie der Anlegerinnen und Anleger beflügelt.
Welche Auswirkungen haben geopolitische Themen und gesetzliche Veränderungen auf die Märkte?
Thomas Liebi: Geopolitische Themen dürften 2024 bei vielen Anlegerinnen und Anlegern weit oben auf der Prioritätenliste stehen. Der anhaltende Krieg in der Ukraine, die Spannungen im Nahen Osten, aber auch die schwierigen Beziehungen zwischen China und den USA können die Anlegerstimmung beeinflussen. Starke Schwankungen bei Aktien, Obligationen und Rohstoffen wären in diesem Umfeld keine Überraschung. In vielen Ländern finden zudem 2024 Wahlen statt. Auch sie können die Stimmung an den Finanzmärkten wie auch das regulatorische Umfeld stark beeinflussen, allen voran die Präsidentschaftswahlen in den USA im November.
Fazit
Was ist Ihre persönliche Empfehlung für Pensionskassenverantwortliche: Welche Strategien sollten sie wählen, welche Massnahmen müssen sie ergreifen, um im aktuellen und künftigen Marktumfeld erfolgreich zu bleiben?
Thomas Liebi: Der lange Anlagehorizont ist ein grosser Vorteil für die Pensionskassen, welche sich durch kurzfristige Schwankungen nicht aus der Ruhe bringen lassen sollten. Regelmässiges Rebalancing, um die aktuelle Positionierung wieder in Einklang mit der Anlagestrategie zu bringen, begünstigt ein antizyklisches Verhalten. So kann die Pensionskasse längerfristig von den zu erwartenden Marktschwankungen profitieren.
Markus Leuthard: Die neue Ausgangslage mit den positiven Zinsen erfordert eine Neubeurteilung der Anlagestrategie. Während der Tiefzinsphase haben viele Pensionskassen ihr Risikobudget erhöht. Dies zeigt sich unter anderem bei zusätzlichen Risiken im Obligationenportfolio. Hier besteht Handlungsbedarf: Eine Analyse dazu erachte ich durchaus als sinnvoll.
Sébastien Dirren: Langfristiges Investieren erfordert einen langfristigen Ansatz und daher bleibt mein Rat für 2024 derselbe wie für 2023: Ignorieren Sie diejenigen, die kurzfristige Ratschläge für 2024 geben, und erweitern Sie Ihren Anlagehorizont und das Anlageuniversum. Dadurch können Sie Ihr Portfolio breiter diversifizieren und optimal auf den nächsten Zyklus ausrichten.
Thomas Liebi
Head of US & UK Market Strategy bei Zurich Insurance Company Ltd
Markus Leuthard
Chief Investment Officer (CIO) bei der Sammelstiftung Vita
Sébastien Dirren
Chief Investment Officer (CIO) bei der Zurich Invest AG
Zurich und Vita – eine starke Partnerschaft
Die Zurich Invest AG als Geschäftsführerin der Zürich Anlagestiftung verwaltet die Kapitalanlagen der Sammelstiftung Vita sowie der eigenen Pensionskasse der Zurich Versicherungs-Gruppe in der Schweiz und vieler weiterer Pensionskassen. Mit einem verwalteten Vermögen von über 22 Milliarden Schweizer Franken ist die Zürich Anlagestiftung die grösste bankenunabhängige Anlagestiftung des Landes und damit eine bedeutende Anbieterin im Schweizer Markt für institutionelle Anleger. Die Zurich Invest AG wählt für jede Anlageklasse die besten Produkte und Partner. Dieser klar strukturierte und unabhängige Anlagemanagementprozess liefert nachweislich beeindruckende Performancewerte, die über den Vergleichsindizes liegen.
Fairplay in der beruflichen Vorsorge
Vita und Zurich setzen sich für eine faire und transparente beruflichen Vorsorge ein. Zudem bieten sie zukunftsfähige Vorsorgeprodukte und unterstützen Sie bei der Wahl der passenden BVG-Lösung.
Wissen ist wertvoll – auch in der beruflichen Vorsorge
Die Wissensdefizite der Bevölkerung beim Thema «berufliche Vorsorge» haben Konsequenzen: Vielen ist nicht bewusst, dass beim Alterseinkommen eine Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit bestehen könnte.
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