Erwerbspersonen denken wie Rentenbeziehende
Obwohl die berufliche Vorsorge für das Einkommen nach der Pensionierung enorm wichtig ist, haben viele Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor nur wenig Bezug zu ihrem Ersparten in der 2. Säule. Die neueste Ausgabe der «Fairplay»-Studie zeigt deutlich, wie stark der gesetzliche Umwandlungssatz zum Sinnbild für die Rentenhöhe in der 2. Säule geworden ist: 2 von 5 (39 Prozent) der Erwerbstätigen sind der Ansicht, vor allem der Umwandlungssatz sei für die Höhe ihrer späteren Rente ausschlaggebend. Nur 1 von 5 Befragten findet, dass vor allem die Höhe des Sparguthabens entscheidend sei. Für die übrigen ist beides gleichermassen relevant. «Vielen Befragten ist also die jährliche Auszahlungsrate der Rente wichtiger als das Aufbauen von Vorsorgekapital: Statt um die Vergrösserung des Kuchens geht es ihnen um die Vergrösserung der pro Jahr verteilten Kuchenstücke», lautet das Urteil von Michael Hermann, Geschäftsführer beim Forschungsinstitut Sotomo. Ob der Kuchen Keks- oder Tortengrösse hat, spielt jedoch in der Diskussion kaum eine Rolle. Selbst jüngere Befragte denken hier eher wie Rentenbeziehende als wie Sparende.
Einschätzung der Relevanz von Umverteilungssatz und Altersguthaben für Rente
Nur ein Drittel weiss von der Umverteilung
Deshalb gibt es auch keinen Aufschrei, obwohl momentan wegen der zu hohen Umwandlungssätze ein beträchtlicher Anteil der Vorsorgeerträge von Erwerbstätigen zu Rentenbeziehenden umverteilt wird. Betrachtet man alle Befragten, ist die Skepsis gegen diese systemfremde Umverteilung im Vergleich zu den Vorjahren gesunken: Trotz anhaltender Debatte über die Rentenreform gibt nur ein Drittel an, über die Umverteilung gut informiert zu sein. Wurden die Befragten darüber informiert, schätzte bislang rund die Hälfte von ihnen diese Umverteilung als unfair ein. Bei der aktuellen Umfrage sind es nur noch 43 Prozent. Erstmals hat also nur noch eine Minderheit grundsätzliche Probleme mit der Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Rentnerinnen und Rentnern. Dabei verstösst diese gegen das Kernprinzip der 2. Säule, dass jede Person für die eigene Rente spart. «Dies passt zum generellen Trend: Ob bei staatlichen Coronafinanzhilfen oder bei Eingriffen im Finanzplatz – der Staat wird vermehrt als Institution gesehen, die alles finanziell absichern kann», kommentiert Michael Hermann.
Kenntnis über Umverteilung in der 2. Säule
Erwerbspersonen finden Umverteilung mehrheitlich unfair
Finanzwissen entscheidend für BVG-Verständnis
Die aktuelle Studie zeigt darüber hinaus, wie wichtig das Wissen über Anlagemöglichkeiten und insbesondere auch eigene Erfahrungen mit dem Thema «Anlegen» sind. Denn dieses Wissen ist Voraussetzung, um die Funktionsweise der 2. Säule zu verstehen und die Folgen der aktuellen Inflation auf die Vorsorge einschätzen zu können: Eine überwältigende Mehrheit von 87 Prozent würde es begrüssen, wenn Wissen zu Vorsorge und Anlage als Schulstoff vermittelt würde. Aktuell erweisen sich eigene Erfahrungen als besonders wichtiger Quell für ein vertieftes Finanzwissen. Immerhin wächst das Bewusstsein dafür, dass die Lohnabzüge für die berufliche Vorsorge eine Investition ins eigene Alterskapital sind: Dies war bei der Befragung von 2022 nur 47 Prozent der Befragten bewusst. In der aktuellen Befragung ist dieser Wert auf 53 Prozent gestiegen. Die übrigen Befragten sehen in den Beiträgen für die 2. Säule eine Art Steuer oder Gebühr. Obwohl sich das Bewusstsein etwas verbessert hat, bleiben die Auswirkungen auf das Handeln noch bescheiden: Weiterhin gibt nur jede fünfte Person an, dass beim Antritt einer neuen Stelle die Ausgestaltung der Pensionskasse für sie eine Rolle gespielt hat.
Wahrnehmung der Lohnabzüge für BVG
Inflation – Effekt auf berufliche Vorsorge wird unterschätzt
2022 lag die Jahresteuerung in der Schweiz mit 2,8 Prozent so hoch wie zuletzt vor beinahe 30 Jahren. Das hat nicht nur Auswirkungen beim Einkaufen, sondern auch das finanzielle Vermögen, z.B. auf Sparkonten, verliert an Wert. Doch das ist der Bevölkerung kaum bewusst: Sie macht sich deutlich mehr Sorgen um steigende Lebenshaltungskosten (73 Prozent) als um die Abwertung ihrer Ersparnisse (43 Prozent). Gar nur 29 Prozent der aktiv Versicherten sorgen sich wegen des Kaufkraftverlusts ihres BVG-Kapitals. Dabei spielt eine Rolle, dass die Mehrheit der Befragten das eigene BVG-Guthaben nicht zum Vermögen zählt, weshalb nur eine schwache Bindung an diesen wichtigen Vermögensbestandteil besteht. Besonders ausgeprägt ist dies bei Frauen: Diese machen sich häufiger als Männer Sorgen um den Kaufkraftverlust, jedoch seltener wegen des Kaufkraftverlusts ihres BVG-Sparguthabens. Ausserdem haben sie seltener auf die Inflation reagiert und ihre Ersparnisse auf Anlagegefässe umgeschichtet.
Gründe für Sorge aufgrund Teuerung
Die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Laut der Umfrage wird die Schweizer Bevölkerung im Schnitt nach der Pensionierung 76 Prozent ihres derzeitigen Einkommens benötigen, um «ganz zufrieden zu sein». Dafür reicht die staatliche und berufliche Vorsorge, also 1. und 2. Säule, allerdings nicht aus: Gemäss dem vom Bund definierten Ziel sollen diese zusammen nach der Pensionierung rund 60 Prozent des letzten Bruttoeinkommens ergeben. Je nach individueller Situation kann der Wert jedoch auch tiefer liegen, zum Bespiel nur bei 50 Prozent. Faktoren wie zum Beispiel die Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre, Inflation und Umverteilung können dazu führen, dass mit der Zeit die angestrebten 60 Prozent aus 1. und 2. Säule immer weniger erreicht werden. Es klafft also bei vielen Menschen eine wachsende Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Diese lässt sich nur schliessen, wenn Menschen konsequent in der freiwilligen 3. Säule fürs Alter sparen. Deshalb ist es enorm wichtig, das Bewusstsein für die Zusammenhänge in der Vorsorge zu wecken – damit Menschen die Weichen für ihre finanzielle Zukunft richtig stellen können.