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Berufliche Vorsorge: Im Sparfranken steckt viel mehr Potenzial

In der beruflichen Vorsorge werden momentan Anlageerträge von den Berufstätigen zu den Rentnern umverteilt. Ausserdem sind die Pensionskassen gezwungen, die Vorsorgegelder unnötig konservativ anzulegen. Im Ergebnis sind die erwarteten Altersguthaben nur halb so hoch wie sie unter optimalen Bedingungen sein könnten – so das Fazit einer aktuellen HSG-Studie.
Die berufliche Vorsorge ist seit Jahrzehnten der bewährte zweite Pfeiler der Altersvorsorge. Für viele Menschen in der Schweiz bildet sie den bei Weitem grössten Vermögensposten und ist eine wichtige Quelle ihres Alterseinkommens. Bis zur Pensionierung ersparen sich viele Berufstätige einen Betrag von mehreren hunderttausend Franken. Das tönt nach viel, muss aber bei der heutigen Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren (Stand 2019) bei Männern 20 und bei Frauen sogar 23 Jahre lang ausreichen.

HSG-Studie: Der Sparfranken erreicht längst nicht seinen vollen Wert

Deshalb ist es wichtig und sinnvoll, sich zu fragen: «Was ist ein Sparfranken in der beruflichen Vorsorge tatsächlich wert?» Oder, anders formuliert: «Holen wir in der beruflichen Vorsorge tatsächlich das Optimum heraus?» Eine aktuelle Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen (HSG) hat sich genau mit dieser Fragestellung beschäftigt – und kommt zu klaren Ergebnissen: Der Sparfranken erreicht längst nicht seinen vollen Wert, sondern hätte noch viel mehr Potenzial. Denn wegen Umverteilung und konservativer Anlagestrategien ist das erwartete Altersguthaben am Ende des Erwerbslebens viel kleiner, als es unter optimalen Vorzeichen sein könnte.

Auswertung von 15 der grössten Vorsorgeeinrichtungen

Konkret wurden die Daten von 15 der grössten Anbieter in der beruflichen Vorsorge untersucht, darunter sechs Vollversicherer sowie neun teilautonome Stiftungen. Sie decken gemeinsam etwa 45 Prozent des Schweizerischen Vorsorgemarktes ab und sind damit gerade auch für KMUs relevant. Die beteiligten Wissenschaftler berechneten im Rahmen der Studie zunächst, wie viele Gelder in diesen Vorsorgeeinrichtungen in den vergangenen Jahren von Erwerbstätigen zu Pensionierten umverteilt wurden. Anschliessend ging es darum, wie die Sparfranken der Versicherten angelegt wurden. In beiden Bereichen zeigten sich beunruhigende Ergebnisse:

Umverteilung: Den Berufstätigen entgehen im Schnitt jedes Jahr 1 bis 2 Prozent der Vorsorgegelder

  • Im Schnitt werden bei jedem berufstätigen Beitragszahler jährlich 1’000 Schweizer Franken von den Anlageerträgen auf dem Vorsorgekapital zu den Pensionierten im Bestand umverteilt. Faktisch verlieren die Berufstätigen sogar noch mehr Geld, denn die 1’000 Franken wären ja jahre- bis jahrzehntelang angelegt worden und hätten durch den Zinseszinseffekt ihren Wert bis zur Pensionierung deutlich erhöht. Entsprechend verliert ein aktiv Versicherter momentan pro Jahr zwischen 1 und 2 Prozent seines Vorsorgekapitals durch den Transfer zur Rentnergeneration. Die HSG-Wissenschaftler prognostizieren, dass diese Umverteilung in den kommenden Jahren sogar noch höher ausfallen wird. Bereits jetzt ist sie erheblich und schmälert die Performance des Vorsorgekapitals empfindlich. Bei den aktuell rekordtiefen Zinsen tut dies besonders weh.

Umverteilung: Dieses Geld geht den Berufstätigen Jahr für Jahr verloren

1’000 Schweizer Franken pro Jahr werden im Schnitt pro Berufstätigen umverteilt – davon könnten Herr oder Frau Schweizer im Durchschnitt Nahrungsmittel und Getränke für zwei Monate finanzieren oder ein Vierteljahr lang die Krankenkassenprämie bezahlen – im Schnitt monatlich etwa 350 Franken. Über die gesamte Erwerbstätigkeit betrachtet, käme ein Betrag von 40’000 Schweizer Franken zusammen. Davon liesse sich ein schönes neues Auto kaufen oder man könnte Toblerone-Riegel auf einer Strecke von sechs Kilometern aneinanderreihen, zum Beispiel von Täsch bis Zermatt.

Das eigentliche Problem: In der Anlage wird massiv Rendite verschenkt

  • Die Umverteilung ist das eine Problem des Schweizer Pensionskassensystems. Eine andere Herausforderung ist viel weniger bekannt, hat aber weit grössere Auswirkungen: Vor allem die Anlagestrategien der Schweizer Pensionskassen tragen dazu bei, dass der Sparfranken der Berufstätigen nicht seinen vollen Wert erreicht. Die gesetzlichen Vorgaben sind eng und bieten wenig Möglichkeiten, punkto Risikotragfähigkeit und Kundenpräferenzen zu differenzieren. Entsprechend haben die Vorsorgeeinrichtungen nur einen geringen Spielraum bei der Anlage. Oftmals sind sie gezwungen, besonders risikoarme Anlageformen zu wählen, wie etwa Obligationen. Diese erreichen momentan jedoch nur spärliche Renditen. Auch die mit den aktuell starren und zu hohen Umwandlungssätzen verbundenen Garantien sind mitverantwortlich dafür, dass die Pensionskassen ihre Gelder nicht so chancenreich investieren können, wie sie es eigentlich möchten. Garantien haben immer ihren Preis! Dabei wäre es angesichts der langen Anlagezeiträume von bis zu 40 Jahren sinnvoll, die Gelder mutiger und damit lukrativer anzulegen.

Warum hohe Garantien am Ende weniger Geld bedeuten

Garantie – das tönt immer gut. Denn bei einem solchen Versprechen für die Zukunft weiss man, was man hat und kann sich auf ein gutes Ergebnis verlassen. In der beruflichen Vorsorge ist das leider nicht so. Hier führen die in der Vergangenheit getätigten überhöhten Versprechen von garantierten fixen Rentenbeträgen leider dazu, dass die Renten der zukünftigen Rentnergenerationen faktisch deutlich niedriger ausfallen als unter anderen Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch der garantierte Umwandlungssatz. Denn die Pensionskassen müssen den versprochenen Betrag mit hundertprozentiger Sicherheit erwirtschaften und deshalb unnötig konservativ investieren, zum Beispiel in Obligationen, mit denen sich momentan kaum Geld verdienen lässt. So wird viel Potenzial beim Ansparen des Alterskapitals verschenkt und am Ende ergeben sich Rentenbeträge, die zwar garantiert sind, aber bei Weitem nicht das herausholen, was unter anderen Umständen möglich wäre.

Mit einer effizienten Anlage doppelt so hohe Altersguthaben erwirtschaften

Eine Beispielrechnung der HSG-Wissenschaftler zeigt, wie einschneidend die Auswirkungen der konservativen Anlagestrategien sind: Bei einem Portfolio mit 23 Prozent Aktienanteil war das erwartete Endvermögen zweimal so hoch wie bei einem konservativen Portfolio mit nur knapp 6 Prozent Aktien. Konkret wurde mit einer Einzahlungszeit von 40 Jahren (von 25 bis 65 Jahren) gerechnet, während der insgesamt 480’000 Schweizer Franken eingezahlt wurden. Bei der konservativen Anlageform ergab sich ein erwarteter Wert von rund 640’000 Schweizer Franken, bei der mutigeren Anlageform ein erwarteter Wert von 1,4 Millionen Schweizer Franken. Die höhere Volatilität des zweiten Portfolios wurde durch die deutlich höhere Performance mehr als kompensiert. Für den Beitragszahlenden bedeutet das: Müssten die Pensionskassen nicht so konservativ anlegen, könnten die Versicherten gemäss den Berechnungen in der HSG-Studie ein doppelt so hohes Altersguthaben und damit auch eine doppelt so hohe Rente erwarten.

Fazit

Die HSG-Studie zeigt auf, dass die öffentliche Diskussion zu kurz greift, wenn sie sich allein um demografische Fragen oder die Höhe des Umwandlungssatzes dreht. Die Generation der heutigen Berufstätigen wird zwar auch davon betroffen sein. Doch vor allem wird sie durch die Auswirkungen von systematischer Umverteilung, starren Rentenmodellen und beschränkten Anlagemöglichkeiten benachteiligt. Diese führen dazu, dass der Sparfranken nicht den optimalen Wert erreicht und momentan viel Potenzial verschenkt wird. Um diese Missstände endlich anzugehen, braucht es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Es gilt, kreative Lösungen zu suchen, welche den Vorsorgeeinrichtungen mehr Spielraum bieten – für neue Chancen und Möglichkeiten in der beruflichen Vorsorge.

Fairplay in der beruflichen Vorsorge

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