Beatrice Stadler ist ESG-Managerin bei der Sammelstiftung Vita. Fast 23’000 Unternehmen mit mehr als 138'000 Mitarbeitenden vertrauen auf die berufliche Vorsorge der Sammelstiftung Vita. Diese kümmert sich um die Anlage der Altersguthaben, während Zurich die Risikoversicherung und den Service übernimmt.
ESG bezeichnet drei wichtige Dimensionen von Nachhaltigkeit und steht für Environmental, Social, Governance – es geht also um die Berücksichtigung von Aspekten der Ökologie, des Sozialen und der guten Unternehmensführung als Messlatten für die operative Tätigkeit eines Unternehmens.
Zurich Invest AG und die Sammelstiftung Vita haben je eine neue Stelle für eine ESG-Managerin bzw. einen ESG-Manager geschaffen. Was war der Hintergrund und was hat Sie dazu bewogen, sich für diese Stelle zu bewerben?
Fabio Oliveira: Auch ich habe mich in erster Linie für diese Position beworben, weil ich ein starkes Interesse und Commitment für die Themen Nachhaltigkeit und ESG-Investments habe. Bereits zuvor habe ich mich in verschiedenen Projekten für Nachhaltigkeit bei der Zurich Invest AG engagiert. Als eine unserer vier strategischen Kerninitiativen hat Nachhaltigkeit auch für das Unternehmen einen hohen Stellenwert. Das hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im Bereich ESG viel bewegen kann. Diese Herausforderung wollte ich unbedingt annehmen.
Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Fabio Oliveira: Zu meinen Hauptaufgaben gehören die Strategieentwicklung im Bereich Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusstes Anlegen, die ESG-Analyse unserer Anlagegefässe, das ESG-Monitoring unserer externen Vermögensverwalter sowie deren Berichterstattung an unsere Regulatoren, unsere bestehenden und potenziellen Kunden. Auch der von Beatrice Stadler erwähnte Engagement Pool beschäftigt mich momentan stark. Durch den Zusammenschluss können wir gemeinsam mit anderen Investoren mit verschiedenen Unternehmen einen Dialog führen. So lässt sich letztlich mehr bewirken – denn wir können ähnlich auftreten wie ein Grossaktionär.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptziele Ihres Unternehmens im Bereich ESG?
Beatrice Stadler: Die Sammelstiftung Vita setzt sich für eine sorgenfreie finanzielle Zukunft ihrer Versicherten ein – und für eine ausgeglichene und sichere berufliche Vorsorge. Sie agiert als aktive und verantwortungsvolle Investorin und berücksichtigt in ihren Entscheiden sowohl finanzielle wie auch nachhaltige Aspekte. Zentrale Elemente sind unter anderem die Governance, also die gute Unternehmensführung, sowie die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf den Klimawandel. Immobilien sehen wir als Teil des Impact Investing.
Fabio Oliveira: Wir wollen ESG-Aspekte in alle Geschäftsaktivitäten integrieren – in unsere Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Ausserdem wollen wir uns aktiv für den Klimaschutz engagieren und die Energiewende vorantreiben. Schliesslich wollen wir bei ESG durch unsere Produkte, Dienstleistungen und Investitionen einen messbar positiven Einfluss erzielen. In verschiedenen Workshops mit unseren Schlüsselkunden und Interessengruppen habe wir unsere drei Anlageprinzipien entwickelt – ESG-Integration, Impact Investing und Gemeinsamer Fortschritt.
Was zeichnet ein Unternehmen aus, das eine überzeugende Nachhaltigkeitsstrategie hat? Wie sollen dessen Kernelemente aussehen?
Fabio Oliveira: Aus meiner Sicht gibt es fünf Elemente einer wirksamen Nachhaltigkeitsstrategie:
Erstens kann eine Nachhaltigkeitsstrategie nur dann Wirkung erzielen, wenn Management und Schlüsselkunden eingebunden sind und die Strategie mittragen. Dafür gilt es, die unterschiedlichen Erwartungen abzuholen, mögliche Zielkonflikte zu lösen und ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Zweitens sollte eine Nachhaltigkeitsstrategie immer in der Unternehmensstrategie sowie in der Vision und den Werten verankert sein. Drittens müssen messbare Ziele, Massnahmen und KPIs definiert werden. Der vierte und wohl wichtigste Erfolgsfaktor ist, die Führungskräfte und Mitarbeitenden einzubinden und für das Thema zu gewinnen. Je stärker die Nachhaltigkeitsstrategie innerhalb der Unternehmenskultur gelebt wird, desto erfolgreicher und schneller werden die gesetzten Ziele erreicht. Fünftens ist es wichtig, regelmässig transparent zu berichten, in welchem Umfang die strategischen Ziele bereits erreicht wurden.
Die Themen Nachhaltigkeit und ESG boomen – warum?
Beatrice Stadler: Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute offensichtlich geworden. Extremwetterereignisse sind insgesamt deutlich häufiger geworden und dadurch verstärkt ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung gerückt. Das Pariser Klimaabkommen mit seiner Klimastrategie 2050 zeigt einen klaren Fahrplan auf, um den weltweiten Temperaturanstieg zu begrenzen.
Diese Entwicklungen dürften dazu geführt haben, dass Investoren vermehrt auf nachhaltige Finanzprodukte setzen und die Anbieter ihre Produktpalette dahingehend ausweiten. Wer jetzt in Nachhaltigkeit investiert, investiert in Zukunftsbranchen. Gleichzeitig gibt es viel mehr Technologien, die Nachhaltigkeit unterstützen. Somit hat sich Umweltschutz von einem Kostentreiber zu einem Feld entwickelt, das neue Geschäftsperspektiven generiert. Auch die Pandemie begünstigt übrigens das Thema Nachhaltigkeit, weil mehr liquide Mittel vorhanden sind – und über das Remote Working und den Digitalisierungsschub haben Themen wie Geschäftsflüge eine andere Bedeutung bekommen.
Fabio Oliveira: Ich möchte die Aussagen von Beatrice Stadler nur noch ergänzen: Durch das Pariser Klimaabkommen wird jedes Unternehmen und jeder Vermögenswert vom Klimawandel und den kollektiven Massnahmen zu seiner Bekämpfung betroffen sein. Dies ist ebenfalls für Anlageentscheide von Investoren von zentraler Bedeutung. Ein ebenso wichtiger Treiber sind die Anleger selber. Einerseits nehmen sie ESG-Risiken deutlich stärker wahr und legen grossen Wert darauf, diese im Sinne einer nachhaltigen Rendite aktiv zu reduzieren. Andererseits hat das Bedürfnis der Anleger stark zugenommen, über Impact Investing soziale oder ökologische Wirkungen zu erzielen. Die Konzernverantwortungsinitiative hat aufgezeigt, dass in der Bevölkerung der Anspruch an die Unternehmen gewachsen ist, die gesamte Wertschöpfungskette so gut wie möglich zu kontrollieren und ESG-Standards sicherzustellen.
Welche Vorteile habe ich als Anleger davon? Warum sind ESG-Investments gute Anlagen für Pensionskassen? Wie profitieren KMU respektive die Versicherten davon?
Fabio Oliveira: Ausserdem können Risiken im Portfolio reduziert werden – und die Anleger profitieren von einem aktiven Dialog mit den Unternehmen, in die investiert wird, sowie von der Stimmrechtsausübung bei Generalversammlungen zu spezifischen ESG-Themen. Dieses aktive Engagement ist wichtig und erzeugt Druck auf die Unternehmen, Fortschritte zu erzielen. Innerhalb desselben Ansatzes werden Unternehmen, die mit akuten sozialen, menschenrechtlichen, ethischen oder ökologischen Herausforderungen konfrontiert sind, aus den Portfolios ausgeschlossen. Mit wirkungsorientierten Anlagen – dem sogenannten Impact Investing – wie z.B. Green Bonds können positive, messbare und nachhaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft geschaffen und gleichzeitig eine attraktive Rendite erzielt werden.
Wo führt das Thema ESG hin? Was sind die nächsten Meilensteine? Gibt es Innovationen? Was sind Trends am Markt und welche Rolle spielen die regulatorischen Rahmenbedingungen?
Fabio Oliveira: Das Bewusstsein für Geldanlagen nach ESG-Kriterien sowie Impact Investing wird weiter steigen. Der Faktor «E» wie Environment, also Umwelt, wird weiterhin an Wichtigkeit gewinnen und in Zukunft werden sich noch mehr Organisationen zum Pariser Klimaschutzabkommen bekennen. Ausserdem dürfte der Fokus bei den Anlegern verstärkt auf den Faktor «S» wie Soziales liegen. Denn die Pandemie hat Fragen und Anliegen rund um Gleichstellung, Gesundheit und Wohlbefinden stärker in den Vordergrund gerückt. Die Klimaziele werden ohne Innovation nicht erreichbar sein. Aus Innovationssicht wird meiner Überzeugung nach das Thema Carbon Capture and Storage dominieren: Wie lässt sich CO2 binden und speichern, um so die Emissionen in der Erdatmosphäre zu verringern? Hinsichtlich der regulatorischen Rahmenbedingungen werden auf globaler Ebene Regierungen, Notenbanken und Aufsichtsbehörden weitere Massnahmen ergreifen, um ESG-Faktoren in Weisungen und Gesetze einzubinden. Mit diesen politischen Vorstössen wird ein höherer Bedarf an transparent erhobenen ESG-Daten entstehen. Als Trends sehe ich alternative Nahrungsmittel und eine bewusstere, möglicherweise auch vegane Ernährung. Denn der CO2-Ausstoss in der Fleischindustrie ist enorm, hier gibt es viel Potenzial für den Klimaschutz.
Wie legen Sie persönlich an? Ebenfalls nachhaltig?
Fabio Oliveira: Ich lege ebenfalls nachhaltig an – mittels eines Socially Responsible Investing-Aktienfonds, welcher lediglich in Unternehmen investiert, die herausragende ESG-Bewertungen mit Fokus auf der Bekämpfung des Klimawandels haben. Zudem investiere ich in einen Target Investment Fund bei Zurich Invest, bei welchem verschiedene Nachhaltigkeitsansätze wie ESG-Integration und Impact Investing berücksichtigt werden.